Teil 10

Miguel stürzt aus dem Palast durch einen engen Gang, der normalerweise nur von Dienstboten und Kurieren benutzt wird. Am Ende sind ein paar Pferde angebunden, er greift sich eines und stiebt eilig durch die Toren davon, bevor die überraschten Posten ihn aufhalten oder die Tore schließen können.

Hinter sich kann er bereits die Verfolger hören.

In seinen Augen stehen Tränen. Tear'lyn! Sein wundervoller, geliebter Tear'lyn - dahin geschlachtet von einem dreckigen kleinen Bronzedrachen.

Verstohlen wischt sich Miguel über die Augen. Er will nur noch fliehen. Sein einziger Verbündeter scheint Fürst Gaius zu sein - ihn muß er erreichen um in Sicherheit zu kommen. Es dauert ein paar Stunden, bis er Gordion erreicht. Das Pferd ist am Ende seiner Kraft, es stolpert nur noch. Er reitet durch die Tore bis zur Hauptburg und stürzt in den Rittersaal.

Fürst Gaius sieht ihn kalt an. Seine schwarze Robe verleiht ihm ein rabenhaftes Aussehen.

"Ihr müßt mir helfen, der Bronzedrache hat meinen besiegt! Die Soldaten des Imperators sind auf meinen Fersen."

Lässig lehnt sich Fürst Gaius auf seinem Stuhl zurück. "Ich brauche niemanden, der versagt."

"Aber - Ihr habt mir Reichtum versprochen und Luxus ...."

"Ohne Drachen und als entlarvter Spion bist du wertlos. Ja - das heißt, du bist überflüssig."

Miguel weicht ein paar Schritte zurück. Angst steht in seinen Augen. Aufreizend langsam hebt Fürst Gaius seine Hände und gestikuliert. Flammen schlagen aus dem Boden und aus den Kleidern von Miguel, er schreit panisch auf, versucht sie auszuschlagen. Der Fürst verstärkt den Spruch, jetzt steht eine ganze Flammensäule um den Reiter. Man hört ihn qualvoll schreien, dann wird es still.

Augenblicke später verlischt die Flamme, nur ein Aschehäufchen ist von dem stolzen Drachenreiter geblieben.

Fürst Gaius geht durch seinen Saal, verteilt dabei mit einem Fußtritt die Asche im Wind. Ohne innezuhalten geht er zu einem der Fenster und sieht hinaus.

Handfeste, mutige Männer sind Miguel gefolgt und haben die Fluchtburg umstellt. Noch sind es wenige, aber bald wird die Armee Gordion eingekesselt haben.

Gaius flucht. Dieser Idiot! Er hat seine Feinde direkt zu ihm geführt. Das ist der letzte Gedanke, den er an Miguel, den Reiter des Silberdrachen Tear'lyn, verschwendet.

 

Nachdem die Ärzte ihn allein gelassen haben, klettert Takuto aus dem Bett, zieht sich an und schleicht leise aus dem Zimmer. Zum Glück ist im Augenblick soviel Durcheinander, daß keiner den schlanken Bronzereiter beachtet. Im Hof stehen noch ein paar gesattelte Pferde. Takuto nimmt sich eines und reitet eilig dem Troß hinterher. Ein geprellter Arm und ein paar Kopfschmerzen werden ihn nicht davon abhalten, herauszufinden, wer hinter all dem steckt!

 

Angesichts der Bewaffneten, die sich um Gordion versammeln, beschließt Fürst Gaius eine kleine Änderung seines Planes.

Ursprünglich wollte er die Armee der Toten erst beschwören, wenn er sie auch kontrollieren kann. Jetzt wird er sie herbeirufen und einfach abwarten, bis niemand mehr im Land lebt.

Danach würde sich die Armee wieder zur Ruhe begeben.

Gaius rümpft unwillig seine Nase. Menschen sind ohnehin völlig wertlos. Gut, um sie zu benutzen, aber ansonsten eher lästig.

Er ruft seine Wachen und steigt in das Verließ hinab. Prinzessin Selena wird mit ihrem Gefolge von seinen Männern an den Händen zusammengebunden, dann werden die Frauen den staubigen Gang hinunter getrieben.

Vor Koji bleibt der Fürst mit einem teuflischen Lächeln stehen. "Nun, mein Schöner, wirst du dich mir anschließen?" Ein kaltes Lächeln antwortet ihm. "Ich lasse mich immer nur einmal anwerben. Außerdem traue ich euch nicht. Ihr seid mächtig, aber davon habe ich nichts, wenn ich für euch sterbe."

Wütend öffnet der Fürst die Zellentür, Koji fühlt, wie sich die Ketten um seine Handgelenke lösen. "Wenn du mir nicht dienen willst, kannst du immer noch als Opfer herhalten. Die Weiber brauche ich, um das Tor zur Unterwelt mit ihrem Blut zu öffnen. Aber du ... . Der Dämon, der das Tor bewacht, wird über dich entzückt sein."

Koji wird blaß.

Der Dämon, der das Tor zur Unterwelt bewacht? Normalerweise ist das eine Legende, erzählt von alten Frauen um ihre Enkel zu erschrecken. Er hat keine Chance, sich zu wehren. Als Fürst Gaius einen neuen Spruch auf ihn legt, wird er bewegungslos gebannt, bis der Fürst ihn mit Ketten an Fuß- und Handgelenken gebunden hat. Er zerrt Koji hektisch hinter sich her, durch den alten Gang und biegt schließlich nach links ab. Der Gang wird eng und niedrig, mehrfach stößt sich Gaius den Kopf und flucht verärgert, während Koji den Steinen geschickt ausweicht.

Nach endlosen Biegungen und diversen blauen Flecken erreichen sie wieder eine alte Tür, ähnlich der, die Koji am Morgen untersucht hatte.

Sie durchschreiten die Tür und kommen an der abgewandten Seite des Felsens, auf dem Gordion errichtet wurde, heraus - weit unterhalb der Festungsmauern.

Vor sich sieht Koji die Gruppe von Prinzessin Selena, wie sie einem gewundenen Pfad durch die Felsen folgen. Gaius zieht ihn weiter. "Dieser Pfad führt zu dem alten Felsentempel. Die abtrünnigen Sektierer haben dort ihre Dämonen angebetet und Opfer gebracht. Genau der richtige Ort, um Verderben über das Land zu bringen. Nicht wahr, mein Schöner?" Wahnsinn blitzt in den Augen des Magiers. Koji begegnet ihm mit seinem Pokerface. Er muß ihn aufhalten, egal wie. Koji sieht sich zwar nicht als Menschenfreund, aber ohne wäre es doch sehr langweilig. Mal ganz abgesehen davon, daß er nicht vorhat, sich an einen Dämonen verfüttern zu lassen .....

Aus großer Entfernung, am Fuße des Felsens, sieht Shibuya in eine Bewegung zwischen den Steinen. Gegen Mittag hatte Nuruk sie alle zu einem kleinen Wäldchen - eher einem großen Dornengebüsch - schräg zur Festung geführt. Er schwört darauf, das hier am Felshang ein Bergpfad ist. Shibuya hatte nichts gesehen außer Steinen. Trotzdem - niemand kennt sich so gut mit Felsen aus wie der Hüne. Aber nun tut sich etwas. Die Männer machen eine kleine Truppe Menschen aus - darunter den unverwechselbar silbernen Haarschopf ihres Anführers. Shibuya trommelt die Männer zusammen. "Wir haben sie gefunden. Nuruk, du bringst uns hoch - und wenn du diesen Berg abtragen muß. Du " er nickt einem der Kämpfer zu "deckst unseren Rücken. Wir müssen Koji da herausholen, das ist am wichtigsten. Sollte es mit der Prinzessin klappen, gut - aber zuerst er. Noch Fragen?"

Die Männer packen grimmig ihre Waffen fester, sie bereiten sich auf den schwierigen Aufstieg vor.

Plötzlich hört Gunji Hufgetrappel. "Shibuya!" Der Blonde nickt, die Männer verschwinden blitzartig in dem Wäldchen. Nichts verrät mehr ihre Anwesenheit.

Ein staubiges, erschöpftes Pferd biegt um einige Felsen. Sein Reiter hat den Kopf mit einem Tuch vor der Sonne geschützt, den Arm in einer Schlinge und beobachtet mehr die Felsen über ihn als den Weg. Wie ein Schatten taucht Nuruk hinter ihm auf, legt einen Arm um seine Taille und zieht den jungen Mann vom Pferd. Eilig wird das Tier am Zügel gepackt und beiseite geführt.

"Shibuya! Nuruk! Was soll das?" Fassungslos starren die Männer auf das strampelnde Bündel in Nuruks Händen- es ist Takuto.

"Was machst du hier? Solltest du nicht beim Imperator sein?" Shibuya ist etwas besorgt. "Was ist mit deinem Arm passiert?"

"Laßt mich erst Mal runter!" Behutsam setzt Nuruk ihn ab.

"Einer der Reiter war ein Verräter. Tetsu'ko und ich haben ihn und seinen Drachen besiegt. Aber er konnte entkommen. Ich will wissen, wer das geplant hat! Vorne steht schon eine ganze Armee, also wollte ich mir den hinteren Teil der Festung ansehen."

Takuto holt tief Luft und sieht die Männer verwirrt an. "Was macht ihr eigentlich hier?"

"Wir retten Koji und haben wenig Zeit. Folge uns so gut du kannst mit deinem Arm." Takuto nickt bleich.

Gemeinsam machen sie sich an den Aufstieg.