Teil 15

Draußen, in den Straßen von Yakazu, ist ein warmer, klarer Morgen angebrochen. Die letzten Frühnebel haben sich schon lange verzogen und es verspricht ein heißer Tag zu werden. Hier unten in den Katakomben ist es immer kalt. Nuruk balanciert geschickt das Tablett mit Takutos Frühstück auf einer Hand als er die steile Leiter hinuntersteigt.

Koji schläft noch, also wird er seinen Gast versorgen. Er mag Takuto, vielleicht ergibt sich sogar die Gelegenheit für ein kleines Schwätzchen. Nuruk hat wenig Freunde. Er ist riesig, verflucht stark, ziemlich ungeschickt beim Umgang mit Menschen und so schüchtern, daß ‚Wortkarg' eine zu schwache Bezeichnung ist - er kann manchmal tagelang mit anderen Menschen zusammen sein, ohne etwas zu sagen. Nicht aus Arroganz - er traut sich einfach nicht. Einmal hat er einer Hafendirne den Arm gebrochen. Nicht aus Absicht - er wollte ihre Dienste in Anspruch nehmen und bei den üblichen Verhandlungen vorher griff er etwas ungestüm nach ihr ... . Seitdem hat der Riese kaum noch gewagt jemanden anzufassen. Koji hat dem Mädchen Schmerzensgeld gegeben und die Sache aus der Welt geschafft. Nuruk betet seinen Boß geradezu an. Er ist der einzige, der sich je um ihn gekümmert hat. Daß Koji einen Mann zum Gefährten hat, ist in Nuruks Augen völlig in Ordnung. Schließlich ist Takuto der einzige, der seinem Boß hin und wieder die Stirn bietet. Sorgfältig schließt Nuruk die Zellentür auf. Der Raum ist stockfinster, das Öllämpchen an der Wand fast ausgebrannt. Er setzt das Tablett ab und füllt ein wenig Öl nach.

Die kleine Flamme erwacht zu neuem Leben und wirft helles Licht in den Raum. Nuruk wendet sich dem Bett zu.

Zusammengerollt liegt Takuto unter den Decken. Er schläft noch fest. Jedes Ausatmen kondensiert zu einer kleinen Wolke vor seinem Gesicht. Der Riese ist froh über seine Fellweste, in der Zelle ist es wirklich eisig. Er stellt das Tablett jetzt neben das Bett und beugt sich über den Jungen. Ein paar kleine Blutergüsse sind zu erkennen, ein frischer Knutschfleck leuchtet rötlich. Der Riese seufzt. Vorsichtig streicht er Takuto ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

"Taku-chan, aufwachen. Ich habe dir Frühstück mitgebracht." Langsam kommt Leben in den Jungen, verschlafen räkelt sich Takuto in den Decken. Er zuckt plötzlich schmerzhaft zusammen und ist hellwach.

"Verdammt, jede Bewegung schmerzt. Wo ist Koji?" Fragend sieht er Nuruk an.

"Schläft noch."

Nuruk streichelt schüchtern über Takutos Arm. Er weiß nicht genau, wie er jetzt weiter vorgehen soll. "Hast du Schmerzen?"

Takuto bringt unauffällig seinen Arm in Sicherheit und schüttelt den Kopf.

"Nicht sehr, mir geht es gut. Ist das alles auf dem Tablett für mich?" Auf dem Tablett türmen sich zwei noch warme Fladenbrote, Schafskäse, Schinken, Honig, Trauben und ein Krug süße Milch. Nuruk zieht einen Schemel neben das Bett, vermeidet es dabei krampfhaft Takuto anzusehen.

"Na ja, ich dachte, wir könnten zusammen frühstücken." Ängstlich blinzelt er in die Richtung des Jungen. Nuruk wurde schon ziemlich oft weggejagt. Takuto sieht ihm die Verlegenheit an und lächelt.

"Sicher, können wir. Gib mir ein Stück von dem Brot und Käse." Eilig versorgt Nuruk seinen Gast mit dem gewünschten, dann setzt er sich auf den Schemel und greift selbst nach dem Brot. Er weiß nicht genau, was er jetzt sagen soll und ist einfach froh, Gesellschaft zu haben. Schweigend mümmeln die beiden an ihrem Brot als die Tür aufschwingt. Koji wirft einen kurzen Blick auf die Szene. Nuruk sieht ihn fragend an. Takuto mustert ihn mit einem finsteren Ausdruck in den Augen.

Der Dieb nickt Nuruk zu. "Geh nach oben und hilf dem Wirt beim Laden der Weinfässer." Nuruk springt auf und verschwindet eilig in dem dunklen Gang. Langsam tritt Koji auf Takuto zu.

Er selbst hat sich beruhigt - jetzt muß er nur noch Takuto besänftigen. Das Funkeln in den Augen seines Geliebten läßt nichts Gutes hoffen. Koji flegelt sich auf den Schemel und sieht Takuto stumm an. Der erwidert den Blick. Einige Minuten lang ist es still in dem kalten Verlies. Schließlich bricht Koji das Schweigen. "Wir müssen uns unterhalten, Izumi."

Der Drachenreiter funkelt ihn böse an.

"Du kannst mich nicht einfach so benutzen. Ich gehöre dir nicht, ich bin niemandes Eigentum. Wenn ich bei dir bin, dann weil ich es will - und aus keinem anderen Grund. Seit gestern Abend zweifele ich jedoch daran, ob du mich liebst oder ob du mich nur als ein nettes Spielzeug betrachtest. Vielleicht sollte ich nach Arrakas zurückkehren. Der Imperator wird mich gern aufnehmen und König Boltis kann ihm kaum einen Wunsch abschlagen. Vielleicht ist das für uns beide das beste."

Koji zieht die Luft mit einem Zischen ein. Er ist kurz davor, sein Hände in Takutos Schultern zu krallen und kann sich nur mit größter Willensanstrengung davon abhalten. "Ich liebe dich! Ich werde dir überall hin folgen. Nach Arrakas, in den großen Hort, in die Wüste - wenn es sein muß, bis in die Hölle selbst. Ich bin ein Dieb, Izumi. Wir kommen immer durch. Ich werde nicht zu lassen, daß ein anderer Hand an dich legt. Du kannst es nennen, wie du willst - ich liebe dich und ich werde dich nicht aufgeben."

Takuto richtet sich wütend auf.

"Warum mißt du mit zweierlei Maß? Du betrügst mich laufend mit irgendwelchen Frauen - aber wenn ich nur einem Kuß vergebe, machst du daraus einen Weltuntergang. Ich liebe Larn nicht - ich bin mit dir zusammen, begreife das endlich. Es gibt keinen Grund, mich eifersüchtig zu bewachen. Ich komme selber zurecht. Und selbst wenn - glaubst du wirklich, du könntest mich daran hindern, dich zu verlassen?"

Koji sieht Takuto gequält an. "Ich würde eher uns beide töten, als dich gehen zu lassen. Izumi, ich kann nicht anders!" Er schlingt seine Arme um Takutos Körper und drückt ihn verzweifelt an sich. "Ich kann nicht anders ... Bitte verzeih mir ... ."

Der Dieb schmiegt sich in Takutos Hand, küßt seine Fingerspitzen und zieht den schlanken Körper immer wieder an sich um ihn unter Tränen zu küssen. Er ist so verzweifelt, daß Takuto gar nicht anders kann, als ihn zu umarmen und sanft festzuhalten. Nach ein paar Minuten hat sich Koji wieder beruhigt. Er schmiegt sich in diese sehnigen Arme und seufzt leise.

"Soll ich dich zu Tetsu'ko zurückbringen? Er wird bestimmt schon langsam nervös."

Der Drachenreiter nickt. Es gibt noch eine ganze Menge zu besprechen - sein Hort ist dafür besser geeignet, als dieses kalte Verlies. Koji führt ihn sicher durch die dunklen Gänge. Er hat Izumi rasch ein Hemd besorgt, daß er über seiner zerrissenen Tunika tragen kann. Durch versteckte, ruhige Gassen kommen sie schließlich am Palast aus. Tetsu'ko hat schon besorgt Ausschau gehalten. Er knurrt erleichtert, als sein Reiter endlich auftaucht. Die Spannung zwischen Koji und Takuto ist beinahe greifbar als Takuto den Drachen sattelt und sich hinauf schwingt.

Einen Augenblick lang hat Koji Angst, Izumi könnte ihn einfach so stehen lassen und auf seinem Drachen davonfliegen ....

Takuto greift nach den Zügeln und stemmt sich in die Steigbügel. Tetsu'ko sieht ihn aus einem Auge fragend an. Schließlich streckt er seine Hand nach Koji aus. "Worauf wartest du? Steig auf."

Erleichtert klettert der Dieb behende in den Sattel hinter Takuto. Momente später hebt der Drache elegant ab, steigt in den sonnendurchfluteten Himmel und schlägt die Richtung zur Felszinne ein.