Teil 3

Takuto reitet auf der viel benutzten Hauptstraße in Richtung Süden. Zu Pferd wird er einige Tage brauchen um Yakazu zu erreichen. Sein Tier trottet vor sich hin, er achtet nicht auf den Weg. Tränen verschleiern seinen Blick. Die anderen Reisenden um ihn herum deuten plötzlich nach oben und schreien aufgeregt.
Takuto sieht erst hoch, als ein heftiger Luftzug über ihn hinweg streicht.
Neben der Straße, auf einem Rasenfleck landet Tetsu'ko  und sieht ihn auffordernd an. Takuto springt vom Pferd und rennt auf ihn zu. Er fällt seinem Drachen um den Hals, schlingt beide Arme darum. Der Drache schnurrt, als er seinen Kopf an ihm reibt.
"Es ist schön, daß du mich verabschiedest. Sie haben es mir nicht mehr erlaubt. Ich werde dich vermissen, Großer! Ich vermisse dich schon jetzt."
Der Drache schiebt ihn sanft zu seinem Steigbügel. Takuto sieht ihn überrascht an. "Bist du sicher, daß du nicht im Hort bleiben willst? Du wirst einsam sein ohne andere Drachen. Ich weiß nicht mal, ob ich dich angemessen füttern kann. Jede Woche ein Rind will erst mal beschafft sein."
Ein sanfter Schubs in seinen Rücken ist die einzige Antwort. Takuto wendet das Pferd in Richtung Hort und gibt ihm einen Klaps damit es zurückläuft, dann schwingt er sich auf seinen Drachen.
In seinem ganzen Leben war er nicht so glücklich wie jetzt in diesem Moment, als sie zusammen in den Himmel steigen.

Nach wenigen Stunden schimmert Yakazu weiß im Sonnenlicht vor ihm. Takuto fliegt sofort zum Hort und kümmert sich um Tetsu'ko. Nachdem der Drache versorgt ist, macht er sich auf in die Stadt.
Takuto ist jetzt sozusagen arbeitslos und hat einen Drachen zu unterhalten.
Vielleicht kann Koji ihm einen Rat geben, was er tun soll.

Koji streift durch die Gassen des Basars. Des ganzen Tag bereits hat er das Gefühl, beobachtet zu werden - wie auch schon am Tag vorher. Er wird es einfach nicht los. Er biegt in eine enge, verlassene Seitengasse ab, um seinen Verfolger zu stellen. Bevor er eine Falle aushecken kann, zischt ein Wurfstern knapp an ihm vorbei, zerreißt seinen Überwurf.
Er dreht sich um und steht vor einen Assassinen. Diese Meuchelmörder lassen sich von jedem anwerben und werden gern zum "Schlichten" von Streitfällen zwischen Erben oder mächtigen Händlern eingesetzt. Der Assassine sieht ihn kalt an. Die kleine Armbrust mit den vergifteten Bolzen liegt bedrohlich in seiner Hand.
"Ich soll dir viele Grüße von dem Händler bestellen. Das Liebesöl kannst du mit deinem Leben bezahlen - die Unschuld seiner Tochter gibt er dir als Rabatt dazu."
Er zielt.
Koji hat keine Möglichkeit auszuweichen. Er duckt sich, erwartet fast schon den tödlichen Bolzen zu spüren.
Der Mann krümmt den Finger am Abzug.
Plötzlich kracht etwas auf seinen Schädel. Er verdreht seine Augen und fällt in sich zusammen. Der Bolzen schießt von der Sehne, verfehlt aber Koji und prallt harmlos von einer Mauer ab.
Takuto steht hinter der dunklen Gestalt und hält die Reste einer Amphora in den Händen. "Du hast Glück, daß ich gerade etwas Wein gekauft habe. Was wollte er von dir?"
"Nicht spezielles. Ein kleines Mißverständnis." Koji staubt sich ab. Ein Seitenblick zeigt ihm, daß Nuruk sich unauffällig in einem der Hauseingänge aufhält. Koji macht eine kurze Geste zu dem Assassinen. Nuruk nickt verstehend.
"Wir müssen ihn an die Wachen übergeben, er wollte dich immerhin umbringen." Koji lächelt. Takuto kann einfach nicht aus seiner Haut.
"Das regeln wir hier ohne Wachen, Izumi. Ich kläre das schon mit ihm. Laß uns zurückgehen und neuen Wein holen." Er nimmt Takuto in den Arm und bugsiert ihn aus der Gasse in den Basar hinein. "Wieso bist du denn schon so früh zurück?" lenkt Koji ihn ab.
Dadurch hört Takuto nicht das hohle Knacken, das aus der Gasse dringt.
Assassinen verfolgen ihren Auftrag, bis er erledigt oder sie selbst tot sind.
Koji hatte nicht vor, ihm eine zweite Chance zu geben ....


"Was soll das heißen: Du bist arbeitslos?"
Koji beugt sich aufgeregt über den Tisch. "Das kann doch gar nicht sein!"
Takuto zuckt mit den Schultern. "Ich bin mit einem Mann zusammen, Koji. Das hat meinem Vorgesetzten gereicht, um mich zu suspendieren."
Koji zuckt zusammen. "Du bist meinetwegen ...? Oh Izumi, es tut mir so leid!"
Er steht auf und umschlingt tröstend den Körper seines Geliebten mit beiden Armen. Für einen Augenblick schmiegt sich Takuto in die Umarmung. Das allein zeigt schon, wie verunsichert er ist. Dann stößt er Koji von sich. "Spinnst du? Wir sind hier nicht alleine!"
Koji setzt sich widerwillig. Viel lieber würde er Izumi trösten und im Arm halten. Aber offensichtlich ist der Junge noch nicht durch mit Neuigkeiten.
"Ich bin jetzt auf jeden Fall ohne Einkommen und habe einen Drachen zu füttern. Meine Ersparnisse reichen für einige Wochen, ich war immer sehr sparsam. Aber trotzdem ..."
"Was soll das wieder heißen: Du hast einen Drachen zu füttern?! Ist Tetsu'ko mit dir suspendiert worden?"
Takuto lächelt stolz. "Nein, er hat mich aus freien Stücken begleitet. Tetsu'ko hat den Hort verlassen, um bei mir zu sein."
Koji schüttelt fassungslos den Kopf: "Dir ist offensichtlich nicht klar, was das bedeutet. Du hast einen Drachen! Du kannst so ziemlich alles machen. Du kannst dich als Söldner anwerben lassen oder eilige Nachrichten und Güter transportieren oder sogar eine eigene Kampftruppe aufbauen."
Takuto schweigt. Zögernd meint er: "Ich will keine Kampftruppe aufbauen. Söldner zu sein liegt mir auch nicht. Am liebsten würde ich einfach weiter für Sicherheit und Ruhe auf den Gebirgspässen sorgen. Meinst du, König Boltis übernimmt mich?"
Der blonde Mann lacht schallend: "Er wäre ein Idiot, wenn er es nicht tut! Mal abgesehen davon, daß er an den Händlern richtig gut verdient - sein Image, wenn er einen Drachenreiter im Sold hat, verbessert sich unglaublich! Geh' zum Palast und rede mit ihm." Koji zwinkert verschwörerisch  "Ich werde dir schon zu einem guten Job verhelfen!"
Bevor Takuto Koji davon abbringen kann, verschwindet der eilig in der Menge.

Kaum eine Stunde später steht Takuto vor König Boltis. Der rundliche Mann sieht kühl auf den Drachenreiter hinab. "Worum geht es, Reiter Izumi? Eine offizielle Nachricht ist es kaum, oder?"
Takuto schluckt nervös. Er hat noch nie um etwas verhandelt, geschweige denn sich irgendwo beworben.
"Ich bin seid heute morgen ohne Anstellung und wollte mich bewerben."
"Wie bitte?"
"Na ja, vielleicht könnt Ihr mich weiterhin brauchen, um die Pässe zu bewachen."
König Boltis starrt ihn an, wie ein Kaninchen die Schlange.  Ein Drache? Ein Drachenreiter für ihn ganz allein? Unfaßbar!
Takuto wird immer nervöser. Schließlich wendet er sich ab. "Verzeiht, ich wollte euch nicht belästigen. Wenn ihr kein Interesse habt, suche ich etwas anderes."
"Nein, nein, so ist das nicht. Ich habe Interesse." König Boltis winkt ihn hastig zurück. "Ich kann dir aber nicht soviel Sold bezahlen. Wie viel verdienst du im Jahr?" "Öhmmm, 60 Goldstücke."
"Ich kann dir leider nur 30 geben. Du verstehst bestimmt, so ein Drache kostet ein Vermögen an Unterhalt. Du müßtest dich natürlich selbst verpflegen. Wir haben schließlich eine Rezession, da müssen alle den Gürtel enger schnallen. Der Drache wird hier im Palast zu meiner Verfügung bereit stehen, egal wann. Kann er mich auch in eine Ratsversammlung begleiten?"
Takuto zögert.
So hat er sich das nicht vorgestellt.
Auf Abruf bereit? Als Repräsentationsobjekt? Weniger Sold als eine Stadtwache?
Da findet sich bestimmt etwas besseres.
"Nein, tut mir leid. Von 30 Goldstücken im Jahr kann ich kaum leben und der Palast ist kein geeigneter Ort für einen Drachen. Verzeiht bitte die Störung."
Der Junge will gehen, da ruft ihn der König noch mal zurück.
"Nicht so hastig, junger Mann. Darfst du den Drachen überhaupt haben? Vielleicht sollte ich ihn konfiszieren? Deine Felszinne steht auf meinem Gebiet, ich kann sie jederzeit beschlagnahmen."
Takuto wird rot und blaß.
Der König sinkt selbstgefällig auf seinen Thron zurück, da ertönt eine fröhliche Stimme im Raum. "Das würde ich mir zweimal überlegen." König Boltis starrt einen jungen Mann, der es sich in einem Fensterbogen bequem gemacht hat, verwirrt an. "Ein Drache gehört niemandem, er bleibt freiwillig bei einem Menschen. Wenn Ihr versucht, ihn zu beschlagnahmen, könnt Ihr gleich eure Armee neu aufbauen, die existiert danach nicht mehr. Mal abgesehen davon, daß Ihr Ärger mit dem Imperator persönlich bekommt. Wolltet Ihr nicht seine älteste Nichte heiraten? Macht bestimmt einen guten Eindruck, wenn Ihr gewaltsam versucht, von seinen 16 Drachen einen an euch zu reißen."
Der König schielt kurz zu seinem Ratgeber, der bedrückt nickt. Der Bursche sagt die Wahrheit.
"Was geht dich das überhaupt an? Ich verhandele gerade mit dem jungen Mann hier, da solltest du dich nicht einmischen."
"Ich bin sein Berater, Katsumi Shibuya."
"WIE????"
"Na, wenn der Imperator ihn nicht mehr im Dienst hat und Ihr ihn verhungern lassen wollt - so einen Drachen kann man immer brauchen. Und da Ihr gerade so schamlos versucht, den Kleinen über den Tisch zu ziehen, braucht er ja wohl einen Berater oder?"
Ein Berater für einen Drachenreiter?
Jetzt ist es an König Boltis, rot und blaß zu werden. "Sind 90 Goldstücke im Jahr in Ordnung?"
Shibuya runzelt die Stirn. "120 und keines weniger. Außerdem ist er nur für die Pässe zuständig und hat euch nicht durch die Gegend zu schleppen. Dieser Idiot von Hauptmann hat ihm nichts zu sagen und er kann seine Zeit frei einplanen. Dazu steht ihm ein freier Tag die Woche zu und angemessene Ruhepausen an den anderen Tagen. Wenn sich wieder eine Bande in den Bergen einnistet, wird er von den Wachen nach bestem Können unterstützt. Jede Woche ein frisches Rind für den Drachen, und kommt ja nicht mit einem alten, zähen an. Noch Fragen?"
Der König schluckt, als hätte er eine Kröte im Hals.
"Das ist Erpressung! Er wird doppelt so teuer und ich habe nicht mehr von ihm als vorher."
Der Blondschopf zuckt die Schultern. "Ihr könnt es auch lassen. Ich finde schon etwas für ihn."

Schweigen.

König Boltis Stimme quietscht ein wenig als er antwortet. "In Ordnung. Wie soll er seinen Sold bekommen?"
Shibuya strahlt ihn an: "Monatlich, natürlich im Voraus. Ihr könnt schon mal gleich für den ersten Monat bezahlen."

Takuto sieht die ganze Zeit nur fassungslos von einem zum anderen.
Der Berater kann kaum ein kleines Grinsen unterdrücken. Er versucht, seinem König aus der Verlegenheit zu helfen. "Reiter Izumi, seid Ihr damit einverstanden?"
Der Junge nickt.
"Gut, dann folgt mir. Ich werde euch den ersten Sold geben."
Die beiden verlassen den Thronsaal.
Unauffällig verschwindet der Bursche durch das Fenster und ist weg, bevor König Boltis auf die Idee kommt, seine Wachen auf ihn zu hetzen.

Dem König bleibt nichts anderes übrig, als auf seinem Thron zu schmollen.