Teil 5

 

Es ist Nacht in Yakazu.

Koji streift durch die dunklen Straßen der schlafenden Stadt. Er ist auf dem Weg zu seinem Lieblingshehler, einem erfahrenen Alten. Bei seinem letzten Beutezug hat er auf einem ziemlich exquisiten Schiff sehr gute Beute gemacht - Gold, Juwelen und eine kleine, mysteriöse Truhe. Diese kleine Truhe hat bis jetzt allen seinen Versuchen, sie zu öffnen, standgehalten.

Der Hehler begutachtet die Truhe prüfend und gibt sie mit einem Kopfschütteln schließlich zurück. "Da ist Magie im Spiel. Kein Schlüssel kann dieses Schloß öffnen, ohne den passenden Spruch."

Koji verzieht enttäuscht das Gesicht. "Na komm schon, es muß doch noch eine Möglichkeit geben. Ich will schließlich wissen, was mir so zugelaufen ist." Der Hehler grinst. "Am besten gibst du das Ding zurück. Magie bringt nur Ärger. Verliere sie einfach auf dem Marktplatz. Die einzigen Wesen, die Magie brechen können, sind Drachen." Der Hehler lacht meckernd. "Ich glaube nicht, daß du einen in der Tasche hast, Koji."

Der Dieb zuckt mit den Schultern, ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht.

"In der Tasche wohl kaum."

Ein paar Stunden später wird der Hort Schauplatz einer kleinen Diskussion zwischen Koji und Tetsu'ko.

"Na komm schon! Wenn es etwas wirklich wertvolles ist, kann ich dir ein Extra-Rind spendieren. Und Izumi braucht dringend neue Klamotten, immerhin muß er jetzt gut aussehen - als Drachenreiter von König Boltis. Du willst doch nicht, daß die ganzen Adelsschnösel über ihn die Nase rümpfen, oder?" Der Drache beäugt Koji mißtrauisch aus einem Auge und mustert dann die Truhe genauer. Sie ist etwa einen Arm lang, aus edlem, roten Holz mit goldenen Beschlägen und einem fein verschnörkelten Schloß. Edel. Das passende Behältnis für etwas sehr wertvolles.

Prüfend badet Tetsu'ko die Truhe kurz in seiner Flamme. Nichts, sie ist nicht mal angesengt.

Er legt eine seiner Pranken darauf und zieht seine Krallen kurz zusammen. Diese Pranken reißen normalerweise Steinwände ein und zerstören ganze Festungen.

Die Truhe steht immer noch unbeeindruckt und unbeschädigt auf dem Boden, als hätten sich nicht gerade 4 große Klauen in sie gebohrt.

Der Drache knurrt. Er hakt eine Klaue in das kleine Schloß und reißt mit aller Kraft daran. Jetzt erst geht die Truhe mit einem leisen Knacken auf. Für einen Moment steht der Ton in der Luft, dann springt der Deckel hoch. In der Truhe liegt auf einem schwarzen Samtkissen ein faustgroßes, violett schimmerndes Juwel. Es scheint ein großer Amethyst mit Facettenschliff zu sein, das Licht wird hundertfach in ihm gebrochen. In seinem Innern glüht eine hellgelbe Flamme, pulsierend wie ein lebendiges Herz.

Beide bewundern das große Juwel aus dem Magie förmlich herausströmt. Koji nimmt es in die Hand: Es ist warm wie ein Lebewesen. Ehrfürchtig legt er es zurück. Tetsu'ko züngelt vorsichtig daran. Sie sehen sich beide an, dann

klappt Koji die Truhe wieder zu.

"Das sollte unser kleines Geheimnis bleiben, was meinst du?" Der Drache brummelt kurz, dann schiebt er mit einer Hintertatze die kleine Truhe in den hintersten, verstecktesten Winkel seiner Schlafhöhle. "Guten Morgen Koji. Du bist schon da?" Beide fahren ertappt herum, Takuto wird aus zwei Augenpaaren erschrocken angesehen. Er sieht sie verwirrt und noch ziemlich verschlafen an. "Habe ich etwas verpaßt?"

"Aber nein! Ich habe nur schon mal Tetsu'ko begrüßt, du hast ja noch fest geschlafen." Eilig zieht Koji ihn aus der Höhle. "Ich habe uns etwas zum Frühstücken mitgebracht. Du hast doch bestimmt Hunger."

"Wieso habe ich das Gefühl, daß ihr etwas ausgeheckt habt?"

Der Drache und Koji schauen ihn ehrlich entrüstet an. "Aber Izumi! Wir würden nie etwas anstellen, das weißt du doch!"

Noch nicht völlig überzeugt läßt sich Takuto in den Wohnbereich zerren. Eilig nutzt Tetsu'ko die Ablenkung und schaufelt schnell noch etwas Stroh über die kleine Truhe.

 

 

Zweihundert Meilen entfernt bekommt Fürst Gaius inzwischen einen Wutanfall nach dem anderen.

"Das Amethyst-Herz ist verschwunden. Ohne kann ich die magische Beschwörung nicht durchführen um die Kontrolle über die Armee der Toten zu erlangen! Wie konnte das passieren?" Sein Helfer hängt in der Luft, hilflos zappelnd. "Es war nicht mehr auf dem Schiff! Wir konnten die Truhe nicht mehr finden. Ein Dieb hat die Goldkiste ausgeräumt, dabei muß er auch die Truhe mitgenommen haben."

Der Fürst gestikuliert mit einer Hand. Röchelnd greift der Mann an seinen Hals, obwohl dort nichts zu sehen ist.

"Ein Dieb also. Und wer? Finde ihn und das Amethyst-Herz - oder du wirst sehr schnell ein Teil der Armee der Toten."

Mit einer Bewegung seiner Hand schleudert Fürst Gaius den Mann gegen die Zimmerwand. Er rappelt sich mühsam auf und hinkt aus dem Saal. Bald hört man eiliges Hufklappern. Der Fürst starrt verärgert aus dem Fenster. "Ohne das Juwel kann ich den Thron vergessen. Gegen die imperiale Armee brauche ich eine schlagkräftige Truppe.

Hat König Boltis nicht eine recht gute Armee und sogar neuerdings einen Drachen? Vielleicht kann ich ihn überzeugen, sich mir anzuschließen. Und wenn nicht - ich kann zumindest für ein wenig Ablenkung sorgen."

Mit einem bösen Lächeln auf den Lippen beugt sich der Fürst vor und ruft einen seiner Lakaien um seinen neuen Plan umzusetzen.

 

Im Palast hält inzwischen der Imperator Hof. Er ist ausgesprochen wütend auf seinen Berater - was bei ihm eher selten vor kommt. "Du willst mir sagen, daß wegen einer solchen Lappalie ein gut ausgebildeter Reiter und ein kerngesunder Drache aus dem Dienst geworfen wurden?"

"Aber Sire - der Reiter schläft mit einem Kerl und der Drache hat einfach rebelliert!"

"Ich habe mir die Berichte über Reiter Izumi angesehen. Sie sind makellos, vom Anfang bis zum Ende. Er hat mehrere Auszeichnungen für seine Tapferkeit und sein Pflichtbewußtsein bekommen. Hole ihn wieder in den Dienst. Wir müssen uns dann noch Mal über diese Vorbildgeschichte unterhalten. Ich kann von meinen besten Männern nicht erwarten, daß sie ihr ganzes Leben lang auf Liebe verzichten."

Der Berater nickt kleinlaut. Mit der Aktion hat er sich wirklich ein Eigentor geschossen ....

Von all dem ahnt man in Yakazu nichts. Am Hof von König Boltis herrscht hektische Betriebsamkeit . Die ganze Stadt scheint vor Aufregung zu summen. Der Imperator hat endlich sein Einverständnis zur Hochzeit seiner Nichte mit König Boltis gegeben. Prinzessin Selena und König Boltis können jetzt endlich heiraten. Die beiden hatten sich auf einem Bankett in der Hauptstadt Arrakas kennengelernt - und

waren sofort fasziniert voneinander.

Böse Stimmen behaupten zwar, das einzige, was beide verbindet, sei ihre Liebe zu gutem Essen und die Tatsache, daß sie schon ein wenig angestaubt wären. Aber das tut der gegenseitigen Sympathie keinen Abbruch. Eher im Gegenteil. König Boltis ist von seiner Selena begeistert.

Die Hochzeit soll prunkvoll und verschwenderisch werden. Im Palast wird geputzt und geschrubbt, die Wandteppiche gereinigt und das kostbare Geschirr zusammen mit dem goldenen Besteck gewienert.

Künstler, Akrobaten, Musiker und Sänger werden angeworben. König Boltis weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht, er versucht, überall gleichzeitig zu sein, damit auch alles perfekt wird.

Er hat sogar Handwerker aus Yakazu bestellt, um für Tetsu'ko einen prunkvollen Stall bauen zu lassen. Natürlich darf ein prächtiges Ledergeschirr nicht fehlen. Der Drache hatte sich mit sichtbarem Vergnügen die Maße abnehmen lassen - vor allen Dingen, weil der Lederer in Angstschweiß gebadet war. Spätestens nachdem eine ganz kleine Stichflamme die Haare über seinem linken Ohr angesengt hatte.

Tetsu'ko hat dem Lederer die Sache mit den Handschuhen noch nicht so ganz vergessen ...

Mitten in die hektischen Vorbereitungen platzt ein Eilbote aus der Hauptstadt Arrakas.

Sein staubiges, mit Schweißflocken bedecktes Pferd steht noch im Hof, als Takuto zum König gerufen wird.Nicht in den Thronsaal, sondern in ein Beratungszimmer wird er geführt. Die Gesichter, die sich ihm zuwenden, sind ernst.

König Boltis hockt gebrochen auf einem Sessel, sein Ratgeber wälzt Landkarten und starrt immer wieder auf ein Pergament.

"Ihr habt mich gerufen?"

"Reiter Izumi, wie schnell kann euer Drache in Arrakas sein?" "In etwas 3 Stunden, wenn wir uns beeilen." Der Ratgeber nickt ernst. "Ihr müßt so schnell wie möglich zum Imperator. Die Braut unseres Königs wurde entführt und der Schurke verlangt, das König Boltis ihm seine Armee

unterstellt. Der Imperator wurde aufgefordert, abzudanken. Alle Drachen des Imperators, bis auf einen, leiden an einer geheimnisvollen Krankheit, 4 von ihnen sind schon gestorben, die anderen nicht einsetzbar.

Ihr schützt den Imperator mit eurem Drachen. Versichert ihm, daß der König ihn nicht hintergehen wird. Wir werden außerdem alles daransetzen, die Nichte des Imperators zu befreien."

Takuto nickt betroffen. Alle Drachen krank, der Imperator in Lebensgefahr? Wer ist dreist genug, die beiden mächtigsten Männer der bekannten Welt so zu erpressen?

Weniger als eine Stunde später fliegen Takuto und Tetsu'ko los zur Hauptstadt in voller Bewaffnung. Er hatte nicht mal Zeit, sich von Koji zu verabschieden

....

Dafür sendet König Boltis zur gleichen Zeit einen Mittelsmann in das Hafenviertel Yakazus.

"Finde den Dieb Koji und biete ihm 500 Goldtaler, wenn er nur meine Braut unversehrt wiederbringt. Er kann anheuern, wen er will und ich rüste ihn mit allem aus, was er braucht. Dieses Siegel auf dem Pergament öffnet ihm jedes Zeughaus am Hafen. Wenn mir jemand meine Liebste wiederbringen kann, dann ist er das."