Teil 8

Nach einer Ewigkeit kommt Ikaru wieder in die Haupthöhle zurück. Er schleift Izumi an einem Arm halb über den Boden. In dem anderen hat er sein Waffengehänge. Der Junge ist in einem üblen Zustand. Ein Blutfaden läuft aus seinem Mund, er hat mehrere Schnittverletzungen an Schulter und Hals. Seine Tunika ist zerrissen, er ist halbbewußtlos und immer noch gefesselt. Ikaru hängt ihn wieder an den Haken und vermeidet es, Linus in die Augen zu sehen. Linus ist vollkommen baff. "Er lebt noch?! Was, bitte, ist auf einmal in dich gefahren? Deine letzten Bettgenossen haben nicht einmal die ersten 5 Minuten überlebt und ausgerechnet jetzt fängst du an, Skrupel zu haben? Ich dachte, du wolltest ihn zerstückeln und in seinem Blut baden?" Ikaru hätte beinahe verlegen über den Boden gescharrt. Er murmelt etwas, vermeidet aber immer noch, Linus anzusehen. "Was hast du gesagt? Verdammt Ikaru, wir haben keine Zeit für Spielchen!" "Ich bin noch nicht fertig mit ihm." "Wie?" "Er hat einfach keine Angst. Ich kann ihm wehtun oder ihn verletzen, aber er hat keine Angst. Ich will ihn noch mal - später, wenn wir beide ausgeruht sind." "Es gibt kein Später. Koji konnte sich vom Haken befreien und schleicht durch die Höhle. Früher oder später hat er seine Fesseln gelöst und rennt los, Hilfe holen. Spätestens morgen früh sind die Spürhunde des Königs auf unseren Fersen. Ich möchte dann die Grenze von Yakazu überschritten haben, verdammt. Mach ein Ende oder laß mich das tun aber wir müssen los und zwar jetzt!" Ikaru murmelt etwas vor sich hin. Trotzdem stellt er sich vor den Jungen und drückt mit seinem Unterarm dessen Kopf zurück. Zwei dunkelbraune Augen sehen ihn erschöpft an, müde, verletzt. Trotzdem funkelt Stolz in ihnen - Herausforderung. Ikaru seufzt. Wenn er Izumi nicht tötet, wird es Linus tun. Aber Linus würde nie prüfen, ob der Junge noch lebt, wenn er ihn ersticht .... Er zieht sein Messer und setzt es dem Jungen auf die Brust genau über dem Herzen. Langsam, beinahe spottend, zieht er es etwas nach links. Und noch ein kleines Stück weiter links. Da, wo sich das Messer jetzt gegen das Fleisch preßt, kann es keinen wirklichen Schaden mehr anrichten, nur noch eine Fleischwunde. Es dringt langsam ein. Izumi bäumt sich auf, sein Schrei wird durch den Arm unter seinem Kinn halb erstickt. In dem Augenblick springt Koji vor. Er hat keine Chance gegen die zwei Banditen, aber er kann nicht mehr warten. Mit aller Kraft wirft er sich auf Ikaru, nur um von Linus abgefangen zu werden. Linus hat sein Schwert gezogen und baut sich grinsend vor Koji auf. Ikaru drückt das Messer immer noch Zentimeter für Zentimeter in den Körper des Jungen. Plötzlich bricht die Decke der Höhle ein. Koji taucht unter den Gesteinsbrocken zur Seite. Ein Drachenkopf erscheint in der Öffnung. Ikaru sieht auf und blickt in ein gewaltiges Maul, das nach ihm schnappt. Tetsu`ko hebt den Mann zwischen seinen Kiefern hoch und beißt zu. Ein grausiges Knacken ist zu hören, Knochen splittern zwischen den mächtigen Zähnen, der Mann zuckt und schreit wie in Krämpfen. Tetsu`ko schüttelt seinen Kopf wie ein Hund, der ein Kaninchen totschüttelt. Augenblicke später fällt eine blutige Masse, die einmal ein Mann war, auf den Boden der Höhle und verursacht ein platschendes Geräusch. Linus ist blaß geworden. Er hat Koji vergessen, schießt mit erhobenem Schwert auf Izumi zu um ihn zu töten. Koji springt in seine Knie und fegt ihn von den Beinen. Er rollt sich zur Seite um dem Hieb auszuweichen, greift nach einem der Steinbrocken und schlägt ihn mit aller Macht in Linus Körper. Linus taumelt zurück, er preßt eine Hand auf seinen Bauch. Koji greift nach Ikarus Schwertgehänge, zieht die Klinge. Seine Hände sind immer noch gefesselt, trotzdem stellt er sich Linus entgegen. Der greift ihn an wie ein tollwütiger Hund. Koji weicht der heftigen Attacke aus und sticht zu. Die Überraschung in Linus Augen tut beinahe weh, als das Leben aus ihm weicht. Das Schwert ist einmal durch seinen Brustkorb gedrungen, er sackt auf die Knie und spuckt Blut. Der rothaarige Mann fällt zur Seite und streckt sich noch einmal, bevor er still wird. Koji beachtet ihn schon gar nicht mehr als er Izumi hastig von dem Haken nimmt und beider Fesseln durchschneidet. Gottseidank, Izumi lebt noch. Er preßt ihn fest in seine Arme und brüllt Tetsu`ko an: "Wo warst du!? Wo bist du gewesen?" Der Drache stößt ein wimmerndes Geräusch aus. Die Mordlust ist aus seinen Augen verschwunden. Vorsichtig bezüngelt er den Jungen in Kojis Armen. Er streckt seinen Kopf noch etwas weiter in die Höhle hinein und versucht, Izumis Körper mit seinen Kiefern zu greifen. Koji weicht mit ihm zurück. "Willst du ihn allen Ernstes im Maul nach Yakazu tragen? Was das Messer nicht geschafft hat, haben deine Zähne nach spätestens 5 Minuten erledigt." Tetsu`ko schnaubt noch mal und schüttelt kurz seinen Kopf. Koji hält ihm widerstrebend Takutos Körper hin. Der Drache umfaßt den Leib ganz vorsichtig, er schließt seine Kiefer kaum und hievt den Jungen behutsam aus der Höhle. Augenblicke später ist der Kopf zurück. Tetsu`ko bezüngelt kurz Koji, der sich an die Wand gepreßt hat. "Das kann nicht dein Ernst sein, du Mistv....." Die starken Kiefer schließen sich um seine Körpermitte, dann hebt der Drache auch ihn hoch. Die Zähne sind unangenehm, aber nicht schmerzhaft. Er setzt ihn außerhalb der Höhle auf dem steinigen Boden ab. Koji hebt Izumi hoch, Tetsu`ko knickt seine Vorderbeine ein und kauert möglichst tief auf den Boden. Koji schiebt Takuto auf seinen Rücken und klettert eilig hinterher. Jetzt, wo es darauf ankommt, arbeiten die beiden zusammen wie ein eingespieltes Team. Izumi hat kaum reagiert, er stöhnt nur etwas. Koji nimmt ihn fest in seine Arme und macht es sich in dem breiten Sattel bequem. Tetsu`ko hebt sanft ab und gewinnt schnell an Höhe. Er fliegt nach Yakazu, so schnell ihn seine Flügel tragen. Koji sieht über sich tausende Sterne in dem dunklen Nachthimmel funkeln, das Land unter ihm ist wie ein dunkler Flickenteppich aus vielen Grau- und Braunschattierungen. Trotz seiner Sorge um Izumi läßt er sich für einen Augenblick gefangen nehmen. Ein Ritt unter den Sternen umgeben von silbernem Licht.... Takuto bewegt sich und reißt Koji zurück in die Gegenwart. Yakazu liegt bereits vor ihnen, Augenblicke später landet der Drache im Innenhof des Palastes. Er stößt ein gewaltiges Brüllen aus. Koji springt herunter und übergibt den Jungen an die herbeigeeilten Drachenreiter. Hisaya checkt kurz Izumis Verletzungen, dann begutachtet er Koji. "Wie ist das passiert? Was geht hier eigentlich vor? Hast du das verursacht?" Eilig tragen zwei Männer den Jungen zum Quartier des Medicus. Der blonde Dieb schüttelt müde seinen Kopf. "Das ist eine lange Geschichte. Izumi kann sie dir besser erzählen. Er wollte mich retten und wurde verletzt. Wenn ich ihm etwas angetan hätte - glaubst du wirklich, ich wäre hier?" Ihre Unterredung wird von König Boltis und seinen Wachen rüde unterbrochen. Der König ist aus seinem Schlaf gerissen worden, nur mit seinem Nachthemd bekleidet stürmt er in den Palasthof - was bei seiner Leibesfülle eher ein wenig komisch wirkt. "Koji! Koji der Dieb! Der Schurke, der mein Gold und bestimmt auch das Königinnen-Collier gestohlen hat. Wachen!! Nehmt ihn fest!" König Boltis wendet sich an Koji. "Ich wollte dich schon lange in die Finger bekommen. Warte Bursche, morgen früh wirst du dem Richter vorgeführt - und bis dahin wirst du noch schlechter als jetzt aussehen, meine Leute werden dich schon 'unterhalten'." Koji weicht einen Schritt zurück. Er ist zu müde zum Kämpfen, seine eigenen Verletzungen machen sich jetzt deutlich bemerkbar. Die Wachen kommen grinsend im Halbkreis auf ihn zu. Er blickt gehetzt um sich. Vor ihm die Wachen des Königs, neben und hinter ihm Drachen und deren Reiter. Kein Ausweg! Als die Männer noch ein paar Meter weg sind, hebt Tetsu`ko seinen Kopf. Er schiebt sich demonstrativ vor Koji und stößt eine mächtige Flamme aus. Die Wachen fallen geradezu über ihre Beine, so hastig treten sie den Rückzug an. Koji blickt kurz zu Hisaya, der die Schultern zuckt. "Wir haben keinen Grund, dich festzuhalten. Mach', das du wegkommst." Koji dreht sich um und sprintet los in Richtung Altstadt. Da fängt ihn keiner! Er merkt, wie neben ihm ein, zwei Pfeile einschlagen, aber schon ist er in den engen Gassen abgetaucht und verschwindet zwischen den Häusern. Hinter sich kann er König Boltis noch eine ganze Weile toben hören. Hisaya läßt die Beschimpfungen und Flüche des Königs gelassen an sich abgleiten. "Wir sind hier, um Banden zu fangen. Er ist nur ein Dieb, er gehört nicht zu unseren Auftrag. Außerdem hat er ein Mitglied meiner Truppe zurückgebracht. Dafür sollte er belohnt und nicht gejagt werden." König Boltis knurrt zornig, macht auf dem Absatz kehrt und rauscht in seinen Palast zurück, die Wachen im Schlepptau. Der Abgang hat etwas opernhaftes und wenn nicht das Nachthemd des Königs im Wind geweht hätte, wäre er sogar dramatisch gewesen ....